Alltagssituationen wie das Einkaufen können mit einem gefühlsstarken Kind zur echten Zerreißprobe werden. Oft sind es gerade die vermeintlich harmlosen Situationen, die dich an deine Grenzen und darüber hinaus bringen. Aber woran liegt das? Wie gehst du damit um, dass diese Alltagsmomente dein Kind überfordern? Und wie kannst du verhindern, dass die Situation im Supermarkt eskaliert? Das erfährst du in diesem Artikel.
Wie du dir und deinem Kind den Druck nimmst
Die meisten Eltern finden Einkaufen gehen mit Kind anstrengend. Ständige Ermahnungen, nicht alles anzufassen, Schreckmomente, wenn das Kind mit dem Einkaufswagen durch die Gänge saust und natürlich die Diskussion, wie viele Süßigkeiten am Ende im Korb landen.
Mit einem gefühlsstarken Kind ist das alles noch etwas herausfordernder. Ein gefühlsstarkes Kind nimmt die Eindrücke um es herum häufig viel intensiver wahr – das grelle Licht, die Werbebotschaften aus dem Lautsprecher, das Gedränge der Menschen. Es spürt den Druck, an einem Ort zu sein, an dem besondere Regeln gelten. Aber wohin es auch sieht, überall lauern Reize und Verlockungen. Das kann so weit gehen, dass das Kind in echte Verzweiflung gestürzt wird, weil das Verlangen nach dem Comic-Heft oder der Tüte Gummibärchen übermenschlich groß wird.
Für uns Eltern ist dies eine extrem belastende Situation. Häufig sind wir unter Zeitdruck, fühlen uns selbst gestresst von der Umgebung und dann noch die entsetzten Blicke der anderen ob unseres schrecklich ungezogenen Kindes.
Dein Kind ist genau richtig - und es braucht dich
Nicht selten entlädt sich diese Anspannung in einem Streit mit unserem Kind, und wir fangen an zu schimpfen, wenn der Ausflug in den Supermarkt zum Desaster wurde. Warum kann nicht mal das klappen?, denken wir. Wir hatten doch klar gesagt, dass es kein Überraschungsei gibt.
Nur helfen weder Appelle an die Vernunft noch “Augen zu und durch”-Denken, wenn wir mit unserem außergewöhnlichen Kind in eine Ausnahmesituation gehen. Wie bitte, wirst du jetzt vielleicht denken, warum ist der Wocheneinkauf eine Ausnahmesituation?
Kinder sind noch nicht wirklich in der Lage, ihre Gefühle zu kontrollieren und zu steuern. Das hängt mit der Entwicklung ihres Gehirns zusammen. Und dann gibt es Kinder, die aufgrund ihres Temperaments geradezu hinweggespült werden von aufsteigenden Emotionen. Verstärkt wird das Ganze noch, wenn sich ein solches Kind in einem Erregungszustand befindet, weil es durch äußere Reize oder den Druck der Erwartungen gestresst ist.
Diese Belastung kann so weit gehen, dass das Gehirn des Kindes die Botschaft aussendet, hier gehe es nun wirklich ums Überleben. Dann kann das Überraschungsei zum einzigen Rettungsanker werden. Wenn du dir vor Augen führst, dass dein Kind gerade verzweifelt versucht, den Kopf über Wasser zu halten, wirst du vielleicht eher verstehen, warum es sich so extrem verhält. Dein Kind will dich nicht blamieren. Es braucht dringend deine Hilfe.
So macht ihr schwierige Situationen leichter
Eine effektive und praktische Lösung ist, niemals mit Kind einkaufen zu gehen. Damit hast du alle Probleme wirkungsvoll umschifft. Nur lässt sich das im Alltag nicht immer umsetzen, es gibt Momente, da musst du einfach durch und das gefühlsstarke Kind durch den Supermarkt schleusen. Abgesehen davon lernt dein Kind nicht, mit Herausforderungen umzugehen, wenn es niemals damit konfrontiert wird. Und wie soll es später selbständig einkaufen gehen, wenn es den Supermarkt nur von außen kennt?
Vermeiden macht das Problem nur größer, die Lösung liegt darin, schwierige Situationen leichter zu machen. Und das ist möglich, auch wenn es Vorbereitung, Aufwand und viel Geduld erfordert. Ich kann dir aber versprechen, dass sich dieser Einsatz lohnt und am Ende auszahlt.
Die Lösung: vorbereiten und üben
Es muss nicht gleich der große Wocheneinkauf am Samstagvormittag sein, zu dem du dein gefühlsstarkes Kind mitnimmst. Suche dir eine günstige Zeit aus, um mit ihm zu üben. Vielleicht vormittags an einem freien Tag oder wenn du dein Kind von Kindergarten oder Schule abgeholt hast. Auch solltest du keine ausufernde Einkaufsliste dabei haben. Beginne lieber mit einem kurzen Aufenthalt im Geschäft und beschränke dich auf ein paar wenige Artikel.
Bevor es jedoch losgeht, bereite dein Kind vor. Besprich mit ihm ganz in Ruhe, dass ihr gleich einkaufen geht. Sag ihm, was ihr alles braucht und wie lange es ungefähr dauern wird. Erkläre ihm ganz konkret, was du dir von deinem Kind wünschst. Lege Regeln und Grenzen fest. Zum Beispiel kannst du deinem Kind erlauben, dass es die Artikel, die du einkaufen möchtest, aus dem Regal nimmt und in den Einkaufswagen legt. Mache nicht unnötig viele Worte, aber sei klar und unmissverständlich. Lasse dein Kind die Regeln selbst wiederholen.
Bevor es losgeht
Jetzt ist der Moment, wo du dein Kind gut erreichen kannst. Wenn die Gefühle vor Ort schon hochkochen, ist es zu spät für ein vernünftiges Gespräch. Wenn dein Kind noch klein ist, dann macht das Kinderzimmer zum Supermarkt und spielt die Situation zu Hause einmal durch.
So setzt du Belohnungen sinnvoll ein
Kinder lernen besser, wenn man ihnen Anreize setzt, wenn die Anstrengung direkt zu einem positiven Ergebnis führt. Wenn du mit deinem Kind das gewünschte Verhalten im Geschäft übst, kann es daher Sinn machen, mit Belohnungen zu arbeiten, um seine Motivation zu erhöhen.
Was ich dir nicht empfehlen kann, ist, deinem Kind zu versprechen, dass es sich am Ende etwas Süßes aussuchen darf, wenn alles gut geklappt hat. Zum einen, weil du dich dann ziemlich sicher darauf einstellen kannst, dass du von nun an bei jedem Einkauf ein Belohnungs-Überraschungsei kaufen musst. Vor allem aber, weil Einkaufen gehen eine normale Alltagssituation ist, für die es keine “Geschenke” braucht – auch wenn die Anstrengung für dein Kind noch so groß ist.
Eine Idee könnte sein, dass du an dem Tag, an dem ihr euren Übungseinkauf macht, das Lieblingsessen deines Kindes kochst. Setze ein paar Zutaten, die du dafür brauchst, auf die Einkaufsliste, so bindest du dein Kind direkt ein. Vielleicht kannst du es zusätzlich motivieren, wenn du ihm in Aussicht stellst, dass es später beim Kochen helfen darf. So stellt dein Kind auch gleich den direkten Bezug her zwischen dem Einkauf, der Essenszubereitung und seiner Lieblingsspeise.
Wiederhole die Botschaft, wenn du willst, dass sie ankommt
Du hast mit deinem Kind die Situation im geschützten Raum zu Hause besprochen und vorbereitet. Es weiß, worauf es sich einzustellen hat und wie es sich verhalten soll. Damit die Botschaft noch besser wirkt, solltest du sie wiederholen.
Gehe vor dem Geschäft noch einmal auf Augenhöhe mit deinem Kind und wiederhole in kurzen Worten eure Abmachung. Zähle noch einmal auf, was ihr gleich einkaufen werdet, und motiviere dein Kind mit der in Aussicht gestellten Belohnung. So ist die Botschaft frisch, wenn es gleich losgeht.
Entspann dich
Dein Kind ist nun vorbereitet, sei du es auch. Wichtig ist, dass du selbst nicht angespannt bist, weil du insgeheim schon das Schlimmste befürchtest. Das würdest du nämlich auf dein Kind übertragen. Sage ihm stattdessen, dass du verstehst, dass die Situation für dein Kind schwierig ist, dass du es ihm aber zutraust und dass ihr das zusammen hinkriegt.
Wie du Gefühlsausbrüchen vorbeugst
Beginne mit kurzen Einkäufen, und steigere dich nach und nach, wenn dein Kind mit der Situation gut zurecht kommt. Wichtig ist, dass du gerade am Anfang deine Aufmerksamkeit bei deinem Kind hast und nicht so sehr beim Einkauf. So kannst du es genau beobachten und Anzeichen für einen Stimmungswechsel wahrnehmen.
Wenn du während des Einkaufs merkst, dass dein Kind unruhig wird, dass es doch wieder anfängt, alles anzufassen oder auf dem Einkaufswagen zu turnen, ignoriere diese Zeichen nicht. Gehe auf Augenhöhe, sage deinem Kind, dass du seine Unruhe bemerkst, und mache ihm einen Vorschlag, wie ihr die unangenehme Situation gut zu Ende bringen könnt.
Oft reicht ein solcher Austausch schon, um dein Kind kurzzeitig zu beruhigen. Du solltest aber darauf achten, dass der Einkauf nun schnell beendet wird.
Notstrategien für den Ernstfall
Meistens spürt man, dass sich im Kind etwas zusammenbraut und es zunehmend gestresst ist. Nun ist es besonders wichtig, dass du selbst ruhig bleibst und ihm durch Blicke, Worte, Gesten vermittelst, dass du seinen Zustand wahrnimmst, ihm aber zutraust, dass ihr den Einkauf noch zu Ende bringt.
In solchen Situationen ist Ablenkung ein gutes Mittel. Spiele mit deinem Kind “Ich sehe was, was du nicht siehst” oder stelle ihm Rätselfragen. Wenn dein Kind sehr mitteilsam ist, frage es nach seiner Lieblingsfigur und lasse dir darüber erzählen, was du noch nicht wusstest. Der Gedanke an sein Lieblingsthema wird das Kind für einen gewissen Zeitraum entspannen. Bei uns funktioniert auch immer gut, wenn ich eine Geschichte aus meiner eigenen Kindheit erzähle. Vielleicht fällt dir eine ein, die auch mit Einkaufen zu tun hat. Und so eine Erinnerung ist leichter zu erzählen als eine komplizierte Geschichte mit ausgedachten Figuren. Geht mir jedenfalls so.
“Das hast du gut gemacht!”
Wenn ihr das Geschäft verlassen habt, dann frag dein Kind, wie es den Einkauf erlebt hat, und gib ihm Rückmeldung. Was hat es toll gemacht, was kann es noch verbessern? Wichtig ist, dass du wahrnimmst, wo es sich wirklich bemüht hat. Hier sollte deine Wertschätzung besonders groß sein.
Auch wenn es noch nicht perfekt geklappt hat, vergiss nicht: Dein Kind hat noch viel Zeit zu lernen. Und es wird Stück für Stück lernen, seine Gefühle zu steuern. Erwarte nichts von ihm, was es noch nicht kann. Aber traue ihm zu, dass es alles lernen kann. Erst recht mit dir an seiner Seite.
Ihr seid ein tolles Team!
Sei stolz auf euch!
Vielleicht bist du der Meinung, das sei viel Aufhebens um etwas so Banales wie Einkaufen. Ja, das kann man so sehen. Aber wenn diese Situation regelmäßig aus dem Ruder läuft oder du merkst, dass du sie absichtlich vermeidest, indem du alleine einkaufen gehst, dann schadet es nicht, gemeinsam daran zu arbeiten. Die Probleme, die dahinterliegen, zeigen sich ja auch in vielen anderen Alltagssituationen. Wenn ihr Schritt für Schritt und Situation für Situation gemeinsam übt, dann wird es insgesamt leichter.
Ach ja, und noch was: Ich habe ja gesagt, dass ich nicht finde, dass dein Kind für diese Übung mehr Belohnung braucht als deine Anerkennung und Wertschätzung (und vielleicht sein Lieblingsessen). Du hingegen hast gerade eine echte Kraftprobe gemeistert, und darauf kannst du stolz sein. So eine Situation kostet nicht nur dein Kind Energie, sondern auch dich. Und dafür hast du dir in jedem Fall eine Belohnung verdient. Es muss ja kein Überraschungsei sein …
Sorge gut für dich – dann sorgst du gut für dein Kind!
Was dir hilft, hilft auch anderen
Hast du selbst schon Ausnahmeerlebnisse gehabt, als du mit deinem Kind einkaufen warst? Was hat euch geholfen? Vielleicht kannst du noch weitere Tipps in den Kommentaren ergänzen, die anderen Eltern helfen.