
Hausaufgabendrama, Wutanfälle, zermürbende Diskussionen: Wenn das Verhalten deines Kindes dich an deine Grenzen bringt, brauchst du Strategien, die im Alltag funktionieren. Sieben davon teile ich hier mit dir – damit du in Zukunft ruhig und gelassen bleibst, auch wenn’s richtig stressig wird.
Erziehen ohne Schimpfen, Begleiten auf Augenhöhe, bedürfnisorientierte Elternschaft – vielleicht auch deine Idealvorstellung? Aber dann kommt wieder so ein Moment, in dem das Verhalten deines Kindes dich so richtig überfordert.
Weil die täglichen Hausaufgaben zum ganz großen Drama werden. Weil du einen gewohnten Ablauf nur minimal veränderst – und dein Kind komplett “dicht macht”. Oder weil dich seine Weglauftendenz an einem besonders anstrengenden Tag auf die Palme bringt.
Viele Mütter, die zu mir in die Einzelberatung kommen, fragen, was sie tun können, um mit solchen schwierigen Alltagssituationen besser zurechtzukommen. Denn auch wenn unsere Kinder uns nicht mit Absicht provozieren – herausforderndes Verhalten macht den ohnehin schon kräftezehrenden Alltag mit einem neurodivergenten Kind oft erst richtig schwer.
Typische Stress-Situationen mit einem neurodivergenten Kind
Ich bin mir sicher, auch dir fallen auf Anhieb einige Situationen ein, die das Potential haben, in einem handfesten Drama zu enden. Mütter, die ich begleite, berichten vor allem von diesen Momenten:
- Übergänge: der Wechsel von einem Ort oder einer Tätigkeit zur nächsten wird zur Geduldsprobe.
- Hausaufgaben & Lernen: Diskussionen, Vermeidung und Frust – was eigentlich eine Routine sein soll, wird zu Stress für alle Beteiligten.
- Unterbrechung fester Abläufe: Wenn dein Kind auf feste Strukturen angewiesen ist, kann selbst eine kleine Änderung große Gefühlsausbrüche auslösen.
- Reizüberflutung: Zu viele Menschen, Geräusche oder visuelle Reize führen zur Überforderung – und dein Kind kann damit nicht allein umgehen.
- Weglauftendenz: Besonders bei Kindern mit Down-Syndrom kann es passieren, dass sie plötzlich loslaufen – eine ständige Belastung im Alltag.
- Impulsivität: Wenn Emotionen zu stark werden, kann dein Kind sich selbst nicht mehr steuern – geschweige denn, zuhören oder kooperieren.
- Oppositionelles Verhalten: Grenzen werden ausgetestet, Diskussionen ziehen sich endlos – bis irgendwann jemand die Nerven verliert.

Diese Liste kann beliebig fortgesetzt werden.
Die Ursachen und Auslöser sind ganz unterschiedlich, aber eins haben all diese Situationen gemeinsam: Sie führen ans Limit, sie sorgen für richtig viel Zusatzstress – und das nicht nur bei uns, sondern auch bei unseren Kindern.
Das kann nicht nur wahnsinnig anstrengend sein, sondern uns sogar dazu bringen, dass wir solche Situationen vermeiden. Besonders wenn sie sich in der Öffentlichkeit abspielen, denn niemand fühlt sich wohl, wenn das Kind mitten im Bus einen Wutanfall bekommt (weil kein Fensterplatz mehr frei ist).
Mir haben schon einige Mütter erzählt, dass sie lieber zu Hause bleiben und sich und ihren Kindern diese Momente ersparen – aus Überforderung, Hilflosigkeit und Angst vor den Reaktionen anderer. Die traurige Folge: So verständlich diese Reaktion ist, führt sie doch zu Isolation und Rückzug. Und im ungünstigsten Fall auch dazu, dass sich das problematische Verhalten weiter festigt, weil keine alternativen Verhaltensweisen ausprobiert und geübt werden können.
»Schwierige Situationen mit deinem Kind zu vermeiden schützt nur kurzfristig vor Überforderung.«
7 Tipps, wenn dein Kind dich regelmäßig überfordert
Tipp 1: Bereite dich vor
Das funktioniert besonders gut bei herausfordernden Momenten, die regelmäßig eintreten – etwa die täglichen Hausaufgaben oder der Übergang von der Bildschirmzeit zum Abendessen. Im Coaching überlegen wir uns gemeinsam einfache Wenn-dann-Pläne. Die helfen dir, in stressigen Momenten nicht im Autopilot zu landen, sondern Verhaltensweisen parat zu haben, die Stress vermeiden.
So geht’s: Überlege dir etwas, was den Stress rausnimmt und was du jedes Mal tun möchtest, wenn die Situation eintritt. Formuliere deinen Wenn-dann-Plan mit dem Satz: “Immer wenn [herausfordernde Situation / triggerndes Verhalten], mache ich [gewünschte Reaktion].”

Tipp 2: Hol dir Hilfe
Wenn du das Gefühl hast, die Verhaltensweisen deines Kindes, die dich an deine Grenzen bringen, häufen sich oder werden schlimmer, dann hole dir Hilfe. Mache dich frei von dem Gedanken, dass du in der Erziehung versagt hast oder keine gute Mutter bist. Dein Kind kann seine Gefühle vielleicht schlechter regulieren als Gleichaltrige oder Reize schwerer verarbeiten – daran ist niemand “schuld”.
Ansprechpartnerinnen können Menschen in deinem persönlichen Umfeld sein, die gut mit deinem Kind können. Die dich entlasten und das nächste Mal mit deinem Kind lernen, auf den Spielplatz gehen etc.. Manchmal fällt es anderen leichter, ruhig zu bleiben, weil sie emotional etwas mehr Abstand haben als wir Mütter.
Auch professionelle Hilfen können wertvoll sein: Erziehungsberatungen, Heilpädagoginnen, Kinderpsychologinnen etc. Vielleicht sprichst du mal mit eurer Kinderärztin, sie kann dir bestimmt jemanden empfehlen.
Tipp 3: Unterbrich eskalierende Situationen
Manche Situationen schaukeln sich einfach hoch – vor allem wenn sie regelmäßig stattfinden. Dann ergibt schnell ein Wort das nächste, und am Ende sind alle erschöpft und traurig. Umso wichtiger ist es, diese Eskalation zu verhindern und die Situation zu unterbrechen, bevor sich alle verausgabt haben.
Du kannst das Zimmer verlassen und dir einen Moment für dich nehmen, um wieder “runterzukommen”. Je nach Situation kann es auch helfen, das Thema zu wechseln. Überhaupt können Überraschungseffekte Wirkung zeigen: Reagiere in einer Art und Weise, die dein Kind nicht erwarten würde (sprich mit verstellter Stimme, singe, laufe rückwärts …). Das Erstaunen darüber kann die Krise entschärfen, zumindest aber für eine Unterbrechung sorgen. Vorsicht, das kannst du nicht zu oft machen, weil es dann nicht mehr überraschend ist. Und: Wenn dein Kind völlig außer sich ist, kann es auch nach hinten losgehen.
»Wenn-dann-Pläne helfen dir, in akuten Stress-Situationen besonnen zu reagieren.«
Tipp 4: Reguliere deine Gefühle - auch wenn’s schwer ist
Das Problem an solchen Triggermomenten ist, dass sie auch in uns starke Emotionen auslösen. Oft haben diese Momente eine Vorgeschichte – etwa, weil sie sich täglich wiederholen oder aber weil ihnen an diesem Tag schon andere herausfordernde Situationen vorausgegangen sind. Manchmal fällt es einfach schwer, besonnen, gelassen und ruhig zu bleiben und das Drama souverän zu umschiffen.
Dennoch kannst du dich darauf vorbereiten, auch in solchen Momenten deine Emotionen zu steuern. In der Beratung üben wir das gemeinsam. Hilfreich kann ein kleiner Satz sein, den du dir innerlich vorsagst – so was wie: “Wir kriegen das zusammen hin” oder “Auch dieser Moment geht vorbei”. Oder du versuchst, kurz innezuhalten und bewusst die Gefühle zu benennen, die gerade in dir toben: “Ich fühle mich richtig wütend.” Oder “Ich fühle mich überfordert.” Das schafft Abstand. Auch auf Körperebene kannst du etwas tun, indem du dir zum Beispiel einen Anker setzt, der dir hilft, dich zu beruhigen. Solche Anker können eine kleine Bewegung mit den Fingern sein oder ein Gegenstand, den du bei dir trägst. Ebenso können Atemübungen helfen, akuten Stress abzubauen.
Tipp 5: Sei achtsam mit dir
Oft ist ein Schlüssel zur Lösung, dass wir das Problem besser verstehen. Überlege dir in einem ruhigen Moment: Welche Situationen bringen mich immer schnell an meine Grenzen? Worauf reagiere ich ganz besonders stark? Vielleicht wecken sie Erinnerungen an unangenehme Erfahrungen von früher, die du mit dir herumträgst.
Generell aber hilft Achtsamkeit mit dir selbst, gelassener mit solch schwierigen Momenten klarzukommen. Entwickle Selbstmitgefühl (nein, kein Selbstmitleid!) und gestehe dir ein, dass das wirklich schwierige und heftige Momente sind, denen du regelmäßig ausgesetzt bist. Die meisten Eltern erleben solche Momente nicht (oder zumindest nicht mehr, wenn die Kinder über das Trotzalter hinaus sind). Mache dir ruhig einmal bewusst, dass du das richtig gut machst – und dass Perfektionsansprüche hier gar nichts verloren haben.

Tipp 6: Co-Regulation: Begleite dein Kind durch den Gefühlssturm
In manchen Situationen beschleicht uns der Gedanke, dass unsere Kinder das absichtlich machen und uns bewusst provozieren wollen. Doch dem ist nicht so: Wenn die Situation eskaliert, ist dein Kind selbst in Not und nicht in der Lage, diesen Gefühlssturm zu bewältigen und sein Verhalten bewusst zu steuern.
Dann ist es Zeit für Co-Regulation: Begleite dein Kind durch seine starken Gefühle, indem du ihm sagst, dass du da bist und dass es okay ist, was es gerade fühlt. Auch wenn es gerade außer sich ist. Schenke ihm Geborgenheit und Sicherheit, und mache deinem Kind klar, dass es nicht verkehrt ist, nur weil es fühlt, wie es fühlt. Vermittle ihm, dass es lernen kann, seine Gefühle besser zu steuern und dass du es dabei unterstützen wirst.
Tipp 7: Vertraue auf euren Weg
Bestimmt hast auch du in solchen Momenten (besonders wenn sie sich in der Öffentlichkeit abspielen) schon die verständnislosen Blicke anderer auf dir gespürt. Den unausgesprochenen (oder auch laut geäußerten) Vorwurf, dass du dein Kind “nicht im Griff” oder schlecht erzogen hast. Gerne kommen dann gut gemeinte, aber vollkommen nutzlose Ratschläge, was du “einfach nur” tun musst, um das Problem zu lösen.
Denke daran: Die anderen kennen eure Situation nicht. Und sie kennen dein Kind nicht. Also lass dich nicht verunsichern. Vergleiche dich nicht mit anderen oder rechtfertige deine Sichtweise – Außenstehende wissen es nämlich eh immer besser. Vertraue darauf, dass du den Weg wählst, der dir und deinem Kind am meisten hilft. Auch wenn er unkonventionell ist. In solchen schwierigen Momenten geht es erst einmal nur darum, die Gefühle wieder einzufangen und dein Kind zu beruhigen. Und das könnt ihr zusammen schaffen.
Fazit
- Viele Mütter von Kindern mit Besonderheit berichten von Alltagssituationen, in denen das Verhalten ihrer Kinder sie überfordert. Herausforderndes Verhalten ist keine Absicht oder Provokation – die Kinder können in diesen Momenten ihre Gefühle und Handlungen nicht steuern.
- Gelassenheit ist trainierbar: Vorbereitung, Selbstregulation und kleine Strategien helfen, in Stressmomenten ruhig zu bleiben.
- Allein kommt man manchmal nicht weiter: Unterstützung von außen – privat oder professionell – entlastet und bringt neue Perspektiven.
- Dein Weg ist richtig: Lass dich nicht von anderen verunsichern. Du kennst dein Kind am besten – und findest die Lösungen, die zu euch passen.
Welche von diesen Strategien willst du das nächste Mal ausprobieren? Schreibe es gerne in den Kommentar. Vielleicht kennst du eine Mutter, der diese Tipps gerade weiterhelfen könnten. Dann teile den Artikel doch mit ihr!
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Über die Autorin
Ich bin Alexandra, Mutter von Zwillingen – eins meiner Kinder hat das Down-Syndrom. Meine Mission ist es, Mütter von Kindern mit Besonderheit auf ihrem Weg zur Resilienz zu unterstützen. Damit sie die Kraft und Ausdauer haben, die es braucht, um Berührungsängste abzubauen und ihren Kindern einen Platz in der Mitte der Gesellschaft zu erobern. >> Mehr über mich