Das Frühförderprogramm „Kleine Schritte“ wird häufig von Kinderärzt*innen oder Therapeut*innen empfohlen und von vielen Frühförderzentren genutzt. Ziel des Programms ist es, in verschiedenen Bereichen, wie Sprache oder soziale Fähigkeiten, die Entwicklung des Kindes in buchstäblich kleinen Teilschritten voranzubringen. Ich nutze die „Kleinen Schritte“ seit Jahren mit meinem Sohn. In diesem Artikel berichte ich von unseren Erfahrungen damit.
Für wen ist „Kleine Schritte“?
„Kleine Schritte“ stammt aus Australien und ist ein Frühförderprogramm für Kinder mit einer Entwicklungsverzögerung. Häufig wird es bei Kindern mit Down Syndrom eingesetzt.
Das Programm richtet sich in erster Linie an Eltern von Kindern mit besonderem Förderbedarf und ist so konzipiert, dass man es im Alltag ganz unkompliziert nutzen kann, ohne sich umfassend einzuarbeiten und Vorwissen zu haben. Auch Erzieher*innen und Therapeut*innen können das Programm nutzen.
„Kleine Schritte“ ist laut offzieller Beschreibung für Kinder von 0 bis vier oder fünf Jahren gedacht. Das weicht jedoch von meiner Erfahrung ab. Ich kenne kein Kind mit Down Syndrom, das im Vorschulalter die Fähigkeiten entwickelt hat, die hier beschrieben werden.
Also auch wenn dein Kind schon „älter“ ist und du dich fragst, ob die „Kleinen Schritte“ für euch überhaupt noch in Frage kommen, lies unbedingt weiter. Ich habe mit meinem Sohn mit dem Programm begonnen, als er vier Jahre alt war und wir nutzen es heute noch.
Was ist das Besondere an den „Kleinen Schritten“?
Es geht von dem Grundsatz aus, dass alle Kinder lernen können. Und dass Kinder mit Behinderung dieselbe Fertigkeiten erlernen sollten wie „gesunde“ Kinder. Mit dem Ziel, so selbständig wie möglich zu werden.
Dem Kind werden in winzigen Teilschriten genau die Fähigkeiten beigebracht, die es gemäß seinem derzeitigen Entwicklungsstand lernen kann. Allein aus diesem Grund finde ich die Altersangaben problematisch.
Bevor du also mit den „Kleinen Schritten“ beginnst, schätzt du mit Hilfe der Prüflisten (Heft 8) ein, wo genau dein Kind steht und womit ihr beginnt zu üben.
Die Vorteile der „Kleinen Schritte“
Das Programm ist dadurch absolut individuell. Es geht immer von dem Entwicklungsstand aus, den das Kind gerade hat.
Es kann vollkommen flexibel eingesetzt werden. Wenn du magst, kannst du es von Anfang bis Ende in allen Modulen mit deinem Kind durchlaufen. Du kannst es aber auch als Nachschlagewerk nutzen, zum Beispiel wenn du nur wissen willst, wo dein Kind steht oder wenn du neue Ideen suchst, wie du dein Kind spielerisch fördern kannst.
Du kannst die Bereiche auswählen, in denen du dein Kind gezielt fördern möchtest (zum Beispiel Sprache) und die anderen eher außen vor beziehungsweise nebenher laufen lassen.
Es ist auch kein Problem, mit dem Programm zwischendurch immer mal auszusetzen. Das habe ich auch gemacht, als es phasenweise einfach nicht geklappt hat mit der regelmäßigen Förderung. Um später wieder einzusteigen, ermittelst du dann erneut den aktuellen Entwicklungsstand deines Kindes.
Wie ist das „Kleine Schritte“-Programm aufgebaut?
Das Grundprogramm umfasst acht Hefte:
Band 1: Einführung in das Programm „Kleine Schritte“
Band 2: Das Programm für Ihr Kind Hier geht es darum, wie man das Programm für sein Kind anwendet. Wie man seine Fähigkeiten einschätzt. Wie man die passenden Lernziele auswählt. Und wie man sein Kind unterrichtet.
Band 3: Expressive Sprache (Sprachausdruck) Wie nonverbale und verbale Kinder ihre sprachlichen Ausdrucksfähigkeiten erweitern
Band 4: Grobmotorik Übungen zum Sitzen, Krabbeln, Laufen, Klettern, Werfen und Fangen, Fahrrad fahren usw.
Band 5: Feinmotorik Hand-Auge-Koordination, Malen, Puzzlen, Vergleichen, Kategorien entwickeln
Band 6: Rezeptive Sprache (Sprachverständnis) Die Bedeutung von Worten erkennen und lernen, Inhalte zu verstehen und anzuwenden
Band 7: Persönliche und soziale Fähigkeiten Hier geht es um Körperhygiene, Sauberkeitserziehung, selbständig essen, sich allein anziehen, sich an Regeln halten, in eine Gruppe einfügen …
Band 8: Übersicht der aufeinanderfolgenden Entwicklungsschritte Hier sind alle Schritte in den Bereichen Feinmotorik, Grobmotorik, Rezeptive Sprache und persönliche und soziale Fähigkeiten als Prüflisten aufgeführt. Dieses Heft nutzt man, um einzuschätzen, wo das eigene Kind steht.
Zusätzlich gibt es drei weitere, ergänzende Bände:
Band 9: Frühes Lesen Hier geht es darum, mit dem Kind Frühes lesen zu üben – von den Anfängen mit Lottokarten bis hin zu ganzen Wörtern.
Band 10: Zeichnen und Vorbereiten auf das Schreiben Formenlehre und Linien zeichnen
Band 11 Zahlen und Zählen Die Zahlen von eins bis zehn kennenlernen, selbständig zählen und Mengen einschätzen
Das übst du mit deinem Kind
Kategorien bilden und zuordnen ist eine Fähigkeit, um die es bei „Kleine Schritte“ geht
Soweit die Theorie. Aber was genau übt man im Rahmen dieses Programms mit dem eigenen Kind? Das hängt natürlich stark vom Alter beziehungsweise vom Entwicklungsstand des Kindes ab.
In Heft 8 sind alle „Kleinen Schritte“ aufgelistet – damit du den Entwicklungsstand deines Kindes feststellen kannst.
Im Bereich Grobmotorik umfasst das Programm Fähigkeiten von „Dreht in Bauchlage den Kopf auf beide Seiten“ bis hin zum Fahrrad fahren und Purzelbaum schlagen.
Im Modul Feinmotorik förderst du Fähigkeiten, die bei „Bewegt die Augen zu einem Gegenstand und fixiert ihn“ beginnen und bei „Schafft ein Zehn-Teile-Puzzle in drei Minuten“ enden.
„Reagiert auf Geräusche mit einer Änderung des Verhaltens“ ist der erste Schritt im Bereich Rezeptive Sprache / Sprachverständnis. Dieses Modul führt hin zu Fähigkeiten wie: „Unterscheidet auf Abbildungen Begriffe, die in der Mehrzahl eine Lautumwandlung haben (Baum > Bäume)“
Und schließlich die persönlichen und sozialen Fähgkeiten. Hier liegt die Entwicklungsspanne zwischen „Beruhigt sich, wenn es hochgenommen wird“ und „Putzt sich selbst die Zähne und die Nase“.
Meine Erfahrungen mit „Kleine Schritte“
Ich habe vergleichsweise spät mit meinem Kind angefangen, die „Kleinen Schritte“ in unseren Alltag zu integrieren. Mein Sohn war zu dem Zeitpunkt knapp vier Jahre alt. Damit war er laut der Beschreibung des Programms schon fast zu alt dafür.
Entwicklungsschritte im Baby- und Kleinkindalter wie das Drehen vom Bauch auf den Rücken oder auch das Laufen lernen haben wir ohne das Programm geschafft, aber gerade in der Sprachentwicklung, beim Frühen lesen, aber auch bei den sozialen Fähigkeiten und der Fein- und Grobmotorik leistet es uns auch heute, vier Jahre später, noch wertvolle Dienste.
Ein Grund, warum wir vergleichsweise spät damit begonnen haben, war tatsächlich, dass ich, als ich zum ersten Mal von den „Kleinen Schritten“ hörte, dachte, mein Sohn wäre dafür schon zu groß. Erst als mir Therapeutinnen und Bekannte das Programm ans Herz legten, habe ich mich entschieden, es zu auszuprobieren.
Und das ist auch gleich meine erste Empfehlung an dich: Wenn dein Kind kein Baby mehr ist, du aber dennoch auf der Suche bist nach einem leicht umsetzbaren und absolut alltagstauglichen Förderprogramm, dann lass dich von den Altersangaben nicht abschrecken!
Meine Kritik an "Kleine Schritte"
Mein tatsächlich einziger Kritikpunkt an den „Kleinen Schritten“ ist die Sache mit dem Alter. Im Beschreibungsheft steht, das Programm sei ausgerichtet bis zum Alter von vier, höchstens fünf Jahren. Entwicklungsziele sind aber zum Beispiel grammatikalisch korrekte Fünf-Wort-Sätze bilden, Purzelbaum schlagen, sauber an der Linie entlang ausschneiden und selbstständig Fahrrad fahren.
Das alles sind Dinge, die ich mit meinem achtjährigen Sohn heute übe. Mit sehr viel Luft nach oben.
Ich persönlich finde es schade, solche Standards zu setzen. Es mag Kinder mit Down Syndrom geben, die all das mit vier oder spätestens fünf beherrschen (ich kenne kein einziges solches Kind, aber das mag nichts heißen), auf die Mehrzahl von ihnen trifft es definitiv nicht zu.
Es wäre aber sehr schade, wenn Kinder nicht von den Möglichkeiten dieses Programm profitieren würden – weil die Eltern denken, für ihr Kind sei der Zug schon abgefahren.
Hintergrund dieser Altersangabe ist die Überlegung, dass es bei der Förderung entscheidend auf die ersten Lebensjahre des Kindes ankommt. Und das trifft ja auch ganz klar zu. Trotzdem ist es ja nicht so, dass jedes Kind mit Down Syndrom, das von Geburt an entsprechend gefördert wird, automatisch mit vier Jahren korrekte Sätze bildet und Purzelbäume schlägt.
Es kommt auf die Ausprägung der Beeinträchtigung an, deshalb finde ich es sehr schwierig, solche Altersvorgaben zu machen. Und die Eltern damit zu entmutigen oder ihnen gar ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn ihr Kind noch nicht so weit ist wie andere.
Was dich bei „Kleine Schritte“ erwartet
Jede Mama muss für sich selbst entscheiden, wie viel Förderung sie zusätzlich zum normalen Alltag leisten kann. Und will. Vermutlich ist dein Kind gut eingebunden in fördernde Strukturen – sei es in der KiTa oder Schule, durch Therapien, Frühförderung und so weiter.
Das ist eine ganze Menge. Und ja, man kann Kinder übertherapieren. Insofern finde ich es immer ratsam, sich vorher genau zu überlegen, ob man ein zusätzliches Programm braucht und umsetzen kann. Wenn die Hefte erst mal zu Hause rumliegen und du dich davon zusätzlich unter Druck gesetzt fühlst, bringt es niemandem was.
Der große Pluspunkt der „Kleinen Schritte“ ist jedoch, dass der Aufwand vergleichsweise gering ist. Nein, du musst nicht erst einmal alle acht beziehungsweise elf Hefte durcharbeiten oder auch nur lesen. Heft eins und zwei mit den Hintergründen und der praktischen Anleitung reichen am Anfang. Und die sind nicht besonders umfangreich.
Mich hat es schon etwas Zeit gekostet, genau einzuschätzen, wo mein Kind steht. Hier hilft dir Heft acht weiter. Wir haben viel herumprobiert – manchmal zeigte er die gefragten Fähigkeiten, dann wieder nicht. Aber irgendwann hatte ich ein Gefühl dafür, wo ich in den einzelnen Modulen ungefähr ansetzen musste.
Wie du herausfindest, wo dein Kind steht
Lies dir die Prüflisten in den einzelnen Modulen vor und überlege, wo in etwa du ansetzt. Wende die ausgewählten Schritte mit deinem Kind an. Wenn es die beschriebene Fertigkeit dreimal hintereinander selbstständig schafft, dann beherrscht es sie und ihr könnt zum nächsten Schritt übergehen.
Die „Kleinen Schritte“ geben Eltern eine ganz genaue Handreichung, wie sie mit ihrem Kind üben können. Wie sie einen Schritt in Unterschritte zerlegen, um das Kind nicht zu überfordern. Welche Materialien notwendig sind – das sind in der Regel Gegenstände, die man ohnehin zu Hause hat oder leicht selbst herstellen kann. Zusatzanschaffungen sind im Grunde nicht nötig.
„Kleine Schritte“ kommt für euch in Frage, wenn...
… du gerade im Baby- und Kleinkindalter manchmal nicht so genau weißt, was du mit deinem Kind „spielen“ sollst. Hier bietet das Programm eine Fülle an tollen Anregungen für drinnen und draußen. So wird es nie langweilig und nebenbei förderst du dein Kind.
… du mehr über die Stärken, Vorlieben und Talente deines Kindes herausfinden möchtest.
… dein Kind dicht macht, sobald es merkt, dass es gefördert werden soll und du etwas suchst, womit du es spielerisch fördern kannst, ohne dass es das mitbekommt.
… du dir ein Programm wünschst, das die gesamte frühkindliche Entwicklung umfasst und dir einen klaren Fahrplan an die Hand gibt.
… du ein individualisierbares und absolut flexibles Förderprogramm suchst, das genau an die Bedürfnisse deines Kindes angepasst werden kann.
… du dir eine Förderung wünschst, die mitwächst, die du immer mal wieder pausieren und in die du bei Bedarf jederzeit wieder einsteigen kannst.
Meine Empfehlung
Mein Sohn ist jetzt acht Jahre alt. Seit vier Jahren arbeiten wir mit den „Kleinen Schritten“. Unser Schwerpunkt lag dabei immer auf der Sprachförderung, insbesondere dem Frühen Lesen.
Aber seitdem mein Kind zur Schule geht, üben wir vermehrt die Feinmotorik, das Formenzeichnen, Zählen und Schreiben. Das tatsächliche Lesen (Frühes Lesen dient ja der Sprach-, nicht der Leseförderung) ist in den „Kleinen Schritten“ nicht enthalten. Hierfür nutzen wir eine andere Methode (IntraAct).
Auch im Bereich Grobmotorik und persönliche und soziale Fähigkeiten wende ich Teile der „Kleinen Schritte“ immer wieder an, aber nicht so regelmäßig.
Wir haben das Programm phasenweise sehr intensiv genutzt und dann auch wieder Pausen eingelegt. Um wieder einzusteigen, habe ich dann die Prüfliste zur Hand genommen und nachgesehen, auf welchem Entwicklungsstand wir weitermachen.
Abgesehen von der Sache mit den Altersangaben setzt das Programm überhaupt nicht unter Druck. Viele der „Kleinen Schritte“ sind Dinge, die man ohnehin mit seinem Kind macht, daher braucht es gar nicht viel Extrazeit, die im Alltag eingeplant werden muss.
„Kleine Schritte“ hilft eher dabei, die Entwicklung des Kindes sorgfältig zu beobachten und kleine Anstöße zu geben. Für mich ist es eine wertvolle Unterstützung, die ich nicht missen möchte, und ich bin froh, dass wir das Programm für uns entdeckt haben.
Interesse an „Kleine Schritte“?
Wenn du mehr über das Programm wissen möchtest, schau auf der Seite vom Down-Syndrom-Infocenter vorbei. Dort kannst du „Kleine Schritte“ auch bestellen. Ich würde mich sehr freuen, wenn du deine Erfahrungen damit hier in den Kommentaren teilst.